Der Tag fängt gut an mit Wölkchen und Sonnenschein. Lautes, unruhiges "Frühstück der Nationen" in der Mensa, fröhliches Plaudern mit Crossed Swordern und wieder Mal: Schuhe putzen, Spats weißen. Alles soll besonders chic sein, heute Abend gehts in die Show. Das Wienern im Sonnenschein, bei angenehmer Plauderei mit Bandkollegen macht Spaß. Das Leben kann so schön sein... auch mit Schuhe putzen. Ehrlich!
Wir haben noch Zeit bis zu den ersten Proben und besuchen die nahegelegene Einkaufsmeile.
William Scott & Sons - Sporran Maker
Wusstet Ihr, dass es einen solchen Beruf gibt? Gar eine Manufaktur, die gerade mal 6-7 Gehminuten von den Pollock Halls entfernt liegt? Wegen der Dauerwelle der Pferdehaare meines Sporran, habe ich mich auf die Suche nach Lösungen gemacht. Ziel: Haare platt machen, Sporran auftrittstauglich zu pflegen. Im ersten Kiltshop, 5 Minuten von unserem Quartier schlage ich zunächst bei anderen nützlichen Dingen zu, bis ich nach Longhair Sporran frage. Die Antwort: Klar, gleich da hinten um die Ecke arbeitet William Scott, der einzige Sporran Macher von Edinburgh! Wie ich später von einem anderen Schotten höre, der einzige, der noch individuelle Sporran fertigt und keinen Wert auf Massenware legt. Absolute Handcraft.
Zunächst marschiere ich am Laden vorbei... schmutzige große Fenster, abblätternde Fassade, abgeschlossene rostige Tür, kein einladendes Schild "Eingang"... Müll an der Ecke. Dennoch stocke ich kurz, da gibt es tatsächlich ein großes Schild, was auch mal bessere Zeiten gesehen hat: William Scott & Son - steht da, abblätternderweise.
Eine Tür ist vorhanden, die drücke ich vorsichtig gegen den Holzrahmen. Sie öffnet sich mit einem urigen Quitschen. Ganz auf geht sie nicht, sondern stößt an einen braunen, nein, an mehreren braunen Kartons an. Ich stehe in einem Lagerraum, vollgestopft mit Schachteln, Kartons, Kanistern mit flüssigem Kleber, offenen Päckchen mit Ösen, Schnallen, Ornamenten und - oh Freude - auch mit einem Ordner, auf dem Außen steht: Health and Safety Policy (Arbeitsschutzverordnung). Allerdings brauche ich mir über die hier sichtbaren Brandlasten und die nötigen Löschmitteleinheiten keine Gedanken zu machen. Das würde einen ultimativen Brand geben. Ich reiße mich aus meinen Arbeitsschutzgedanken und finde einen Vergleich für diesen Raum: Wie der Store des Zauberstabmeisters in Harry Potter.
Bevor ich ans Zweifeln komme, ob ich mich verbotener Weise in heilige Hallen begeben habe, taucht ein Mitarbeiter in Schürze und mit Lappen in den delikaten Händen auf. Ziemlich erstaunt. Wie sich dann herausstellt, ist dieser Raum Teil der "Fabrik", in der mit viel Liebe und Fachkompetenz Sporran handgefertigt werden.
Von ihm gibt es die nötigen Tipps für die Renovierung eines Longhair Sporran, aber die Mahnung bleibt... wenn der Sporran zu billig erworben wurde, wird es schwierig mit der Optimierung. Und das Wichtigste: Keine Chemie verwenden. Bürsten, bürsten, bürsten.
Nach einigem Hin- und Her kommt der Chef des Hauses hinzu und lehrt weitere Feinheiten des Sporran-Tuning. Das klingt so mühsam, dass ich mir die Frage erlaube, ob er sich mal meinem Sporran widmen würde, um die Haare glatt zu machen. "O.K. - Bring it, I` ll do it for you!" Bei der Frage nach den Kosten, schüttelt er den Kopf. Es soll umsonst sein. Äh, wie, so einfach soll das sein?
Nun bin ich in Verlegenheit, denn es sind ja mehrere aus unserem Team, die Unterstützung benötigen könnten. Ich bestehe darauf, dass er ein Pflegehonorar akzeptiert. Vereinbart wird, am Montag früh kommen wir mit den Sporrans vorbei. Für 5 Pfund würde er den Job machen. Das ist natürlich eine gute Sache.
Die Idee entsteht deshalb sogleich, wenn wir schon mit mehreren Leuten bei ihm aufschlagen und er uns so entgegenkommt, wollen wir ihm und seinen Mitarbeitern ein Ständchen bringen. Gesagt, getan. David Johnston ist einverstanden; die Mahnung ist: Wir sollen unsere Kräfte schonen. Beim Liason-Office (für die Künstler und Musiker des REMT) hole ich mir die schriftliche Genehmigung, dass wir - als "Tattoo-Angestellte" spontan für die Firma spielen können. Alle, die wir ansprechen, weil sie auch ein Sporran-Problem haben, freuen sich schon auf die kleine Einlage.
Meine erste Show
Gegen 17.00 Uhr erscheint das Team, welches heute spielt, im Full Dress. Es gilt, die erste offizielle, normale Show mit königlicher Prominenz zu gestalten.
Mit Sabine im Campus Garten |
Geübt wird nochmals, was das Zeug hält, gegen 18.15 Uhr steigen wir in die Busse und fahren rasch hoch zum Schloss. Dort nimmt sich uns Brian Alexander nochmals ordentlich vor die Brust. Es wird mit allen beteiligten Bands gespielt. Nach dem Aufwärmen im Schloßhof bin ich schweißgebadet. Gut, meine Flasche mit Wasser direkt dabei zu haben. Die Zuversicht steigt, ich freue mich immer mehr auf den Auftritt und bin glücklich.
March On - Zehn Drummajors führen 160 Musiker auf die Esplanade. |
Die beiden Auftritte der Massed Band bei der Show sind erfolgreich. Ich freue mich über die Zuschauer, die voller Bewunderung auf dieses Meer von Musikern schauen, in dem ich selbst mit schwimmen darf. Den abschließenden Marsch die Highstreet hinunter, packe ich dieses Mal professioneller als in der Probe; gehe kurzerhand auf dem Bürgersteig in der Snare-Reihe, um den tiefer gelegenen Gulliedeckeln auszuweichen. Übrigens sprechen wir über Kopfsteinpflaster.
Mit den Bass-Spielern möchte ich jetzt erst recht nicht tauschen. Betty, unsere Bass-Spielerin, schägt sich in jeder Hinsicht durch. Sie ergattert vor dem Finale noch ein riesen Kompliment aus der Bass-Linie: Alle Bässe sollen sich horizontal nach Betty ausrichten... und wir Crossed Sworder sollen die senkrechte Linie marschieren, so wie Betty es vorgibt. Na, wir haben schon tolle Leute im Team. Betty freut sich natürlich über diese Anerkennung. Wir genießen das Finale. Wohl auch die über 8.000 Zuschauer. Der Applaus ist euphorisch.
Am Ende der Highstreet oder am Anfang der Royal Mile, warten in der Kurve Duzenden Menschen, die uns applaudieren, obwohl wir ja gar nicht mehr spielen... die Stimmung ist kaum zu toppen.
23.00 Uhr: Nun noch kurze Besprechung im Konferenzraum - Lob, Tadel, Ankündigungen - und ab geht's unter die Dusche. Anschließend genießen wir im Campus die flüssigen Kulinaritäten Schottlands und kommen noch besser in Kontakt mit anderen Bandmitgliedern. So langsam solidarisiert sich der Musik-Campus.
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